Saturday, January 10, 2009

Die Freiheit der Frau

„Wenn die finanzielle Unabhängigkeit nur dazu führt, dass wir es schwerer haben, einen Mann zu finden und rechtzeitig Kinder zu bekommen, wir uns aber gleichzeitig ein Leben ohne Familie nicht vorstellen können, sind wir dann nicht genauso unfrei wir unsere Großmütter oder die Heldinnen aus Edith Whartons Romanen?“, fragte ich Katrin und Christiane verzweifelt. „Oder noch unfreier?“ Die beiden sahen mich ratlos an.

Eigentlich hatte ich immer gedacht, unsere Ausbildung solle uns vor dem Schicksal bewahren, auf eine Ehe angewiesen zu sein, um unseren gesellschaftlichen Status oder unser Überleben zu sichern. Sie sollte uns die Freiheit schenken, uns den auszusuchen, der uns gefällt, und Männer verlassen zu können, die wir nicht mehr lieben, die uns quälen oder schlagen. Sie sollte uns ermöglichen, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können mit oder ohne Mann. Aber dann, irgendwann Mitte 30, geraten wir alle so in Panik, es könnte letzteres sein, dass wir die wahnwitzigsten Taten begehen.

Irina hatte einen so schweren Nervenzusammenbruch, dass sie für mehrere Wochen ins Krankenhaus musste. Zugegeben sie hat einen Haufen Probleme. Nicht alle drehen davon haben mit Männern zu tun. Vor zehn Monaten ist ihr gekündigt worden. Sie war so am Ende, dass sie wochenlang nichts unternehmen konnte. Als sie endlich wieder in der Lage war, etwas zu unternehmen, hatte sie ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verwirkt.
Doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und suchte sich etwas Neues in England. Was macht England? Ruiniert pünktlich zu ihrer Ankunft sein Wirtschafts- und Finanzsystem. Nach fünf Monaten, als sie gerade begann, die Stadt zu mögen und Freunde zu finden, kündigten sie ihr wieder.

Im Fußball würde man sagen, erst hatte sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu.

Den Höhepunkt ihrer Krise erreichte sie allerdings erst nach ihrer Entdeckung, dass ihr 56-jähriger Freund, der nachlässige Norbert, eine Neue hat. Uns ist es ein Rätsel, wie er das macht. Er ist unattraktiv, geistlos, ungehobelt und noch nicht einmal reich. Jedenfalls hat er Irina weder mit Schmuck und schicken Klamotten überhäuft, noch in Champagner gebadet. Nicht dass wir wüssten.

Das schlimmste an ihm aus Irinas Sicht war allerdings, dass er keine Kinder wollte. Keine weiteren jedenfalls. Die, die er hat, waren ihm genug. Er wollte noch nicht einmal so recht mit ihr zusammen ziehen. Abendessen und Golf mit seinen Freunden und ab und an eine Auslandsreise, das war seine Vorstellung von dem gemeinsamen Leben. Wäre ja nichts dagegen einzuwenden gewesen, wenn Abendessen und Golf mit Mittfünfzigern und ab und zu eine Auslandsreise auch das gewesen wäre, was Irina wollte. Aber sie wollte Familie und Kinder, dazu vielleicht noch ein paar Rucksackreisen durch den Amazonas und das Mekong-Delta. Außerdem war sie schon immer eher für Extremsportarten zu haben als für Golf. Als Studentin gehörte es zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, nachts ungesichert das Freiburger Münster zu erklimmen und oben angekommen, eine Flasche Weißherbst zu öffnen.

„Meinst Du nicht, das könnte ein Grund sein, sich zu trennen?“, hatte Katrin sie schon vor Jahren eindringlich gefragt. Sie meinte seine mangelnde Bereitschaft zu weiteren Kindern, nicht zu nächtlichen Ausflügen auf das Freiburger Münster über dessen Außenwand.

„Nein, ich liebe ihn“, sagte Irina. „Und es ist zu risikoreich – vielleicht finde ich keinen anderen mehr.“ Anscheinend hatte Irina ihre gesamte Risikobereitschaft bei Extremsportarten verpulvert und für gewöhnlichen Hürden des Alltags war nichts mehr übrig.

Allmählich ging sie dazu über, Perlenketten und -ohrringe zu tragen. Wahrscheinlich hielt sie das für die angemessenen Accessoires für Abendessen mit Mittfünzigern. Und sie brachte immer wieder das Thema Heiraten und Kinder auf, gegen das sich der nachlässige Norbert hartnäckig sträubte. Dabei fielen immer mehr hässliche Worte, die zudem immer hässlicher wurden. Hässliche Worte waren eines der wenigen Gebiete auf denen der nachlässige Norbert Einfallsreichtum zeigte. Das einzige, worin die beiden kooperierten, war der Versuch, Irina möglichst klein zu machen.

Sie legte sich einen Klageruf zu, mit dem es ihr immer wieder gelang, sich aufs Neue im Kreis zu drehen: „Die Zeit vergeht einfach nur, aber nichts kommt voran bei mir, keine Kinder, kein Mann und kein Beruf“. Das war das häufigste Gespräch, das ich in den vergangenen zwei Jahren mit ihr geführt habe:“ Bei euch geht es vorwärts, ihr habt Erfolg, bei mir stagniert alles nur. Ich habe den richtigen Moment verpasst, ich bin nutzlos.“

Das sollte nun also unser selbst bestimmtes Leben in Freiheit sein.

Wir flehten sie an, sich wieder selbst zu respektieren, den nachlässigen Norbert seiner Wege ziehen zu lassen, und sich einen lieben, zärtlichen und sportlichen Wandersmann in ihrem Alter zu suchen. Aber der nächste Urlaub ging wieder nicht ins Mekong-Delta, und wieder war der nachlässige Norbert dabei. Selbst als sie nach England ging, kam er halb mit, aber natürlich nicht ganz, indem er wochenweise seine Zahnarztpraxis einem Vertreter überließ.

Als sie von seiner Neuen erfuhr, brach Irina vollkommen zusammen. Wir fanden alle, sie hätte eher Anlass zur Freude gehabt. Aber wer versteht schon die verschlungenen und manchmal auch perversen Wege der Liebe. Außerdem schaffen zwei Kündigungen innerhalb von zehn Monaten sicher nicht die ideale Ausgangsbasis, um eine Trennung zu überstehen.

Christiane meinte, das sei definitiv die schlechteste aller Welten: Sich auf unausstehliche Männer angewiesen zu fühlen, um doch noch irgendwie an eine Familie heran zu kommen, und dafür auch noch arbeiten gehen zu müssen.

Sie hätte eigentlich nie Angst, keinen Mann mehr zu finden, vertraute Katrin uns an. Sie sei sich sicher, das sie einen finden würde. Sie hat nur Angst, ihn nicht mehr rechtzeitig zu finden, um noch Kinder bekommen zu können.

„Wir müssen offener für unkonventionelle Lebensformen sein“, schlug ich vor. „Als ich noch Single war, dachte ich immer, ich würde mir einfach eine WG mit einem schwulen Pärchen suchen, und mit denen Kinder bekommen.“

Die beiden nickten zustimmend. Aber Christiane wendete am Ende ein, die Vorstellung sei ihr damals, als sie noch mit einer Frau zusammen war, doch zu viel gewesen, als lesbisches Paar gemeinsam Kinder groß zu ziehen. „Du kannst überhaupt nur in bestimmten Vierteln leben, Deine Eltern sitzen dir im Nacken, und ständig hast Du ein schlechtes Gewissen, was Du dem Kind in dieser Gesellschaft zumutest, auch wenn Du Dir sicher bist, zwei harmonisch zusammen lebende Frauen sind für ein Kind besser als Vater und Mutter, die sich wie Hund und Katze bekämpfen. Inzwischen hat Christianes Ex-Freundin eine neue Frau und ein Kind. Christiane hat einen Mann.

„Warum haben Männer diese Angst, partner- und kinderlos zu bleiben, eigentlich nicht?“, fragte Katrin.

„Sie überschätzen ihre Fertilität“, meinte Christiane. „Die meisten wissen gar nicht, dass immer mehr Männer schon in jungen Jahren nicht zeugungsfähig sind“. Ein Fortpflanzungsmediziner hat sich mal bei ihr über die immer schlechtere Qualität der Samen jugendlicher Spender beklagt. “Außerdem wissen sie auch nicht, dass die Qualität ihrer Samen auch mit dem Alter abnimmt“. Ich denke an Matthias, der seine Frau in der Öffentlichkeit verhöhnte, sie sei nicht in der Lage, Kinder zu bekommen, als es ein Jahr lang nicht klappte. Am Ende stellte sich heraus, dass es seine Samen waren, deren Tempo so sehr zu wünschen übrig ließ, dass sie nie im Leben zu einer Eizelle hätten vordringen können. Mit ein bisschen freundlicher Hilfe der Fortpflanzungsmedizin gelang es dann doch.

„Außerdem stimmt es nicht“, wandte Christiane ein. Ich kann Dir eine ganze Latte allein stehender Männer nennen, die Angst haben, allein stehend zu bleiben. "In der Tat, die Veranstaltungszeitung der Stadt ist voll mit Anzeigen von Männern, die Frauen mit Kinderwunsch suchen.

Trotzdem finde ich, die Männer scheinen in der Regel größeres Vertrauen darin zu haben, dass ihnen alles zusteht und sie auch alles bekommen werden. Jedenfalls geben sie keine Panik zu erkennen, dass sie Kinder und Karriere nicht kombinieren könnten. Uns hat man zwar im Prinzip dazu erzogen, all das anzustreben, aber irgendwie hat man uns auch mit auf den Weg gegeben, es sei vermessen zu glauben, dass man dabei keine Kompromisse eingehen müsste. Nur wie man die machen soll, und warum Männer die nicht machen müssen, das hat uns keiner erklärt.

„Man hätte uns mehr Selbstvertrauen mitgeben müssen“, meint Katrin bestimmt und will offensichtlich das Thema damit abschließen.

Ich gucke hinaus in den Schnee und gerate ins Träumen. Ich beneide die Frauen, die zwanzig Jahre jünger sind als wir, die keine Skrupel haben, aber dafür ein Meer von modernen Männern in ihrem Alter. Wahrscheinlich bekommen sie, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ihre Kinder in der Ausbildung, im Studium oder kurz danach. Bis dahin werden sie überall Kinderkrippen aufgemacht haben, männliche Studenten werden nichts dabei finden, ein Jahr lang ein bisschen langsamer zu studieren, um Windeln zu wechseln, und ihnen macht niemand vor, man würde sein ganzes Leben ruinieren, wenn man während der Ausbildung schon Kinder bekommt. Als wenn es später im Leben irgendwann mal besser passen würde. Die müssen sich keine Gedanken über Fertilität jenseits der Dreißig machen und auch nicht darüber, ob sie es wagen können zu habilitieren, wenn sie doch damit entweder ihre Chancen auf Kinder oder aber ihre Chancen auf eine erfolgreiche Beendigung der Habilitation zerstören.

„Komm lass uns los“, schreckt mich Katrin in meinen Tagträumereien auf. „Wir besuchen Irina.“

„Jawohl“, ruft Christiane gut gelaunt. „Und wir nehmen eine Sektflasche mit.“

Irina wird mit Antidepressiva behandelt. Vielleicht ist sie ja schon so weit, dass sie den Abgang des nachlässigen Norbert feiern kann. Soll er doch mal eine andere Frau vernachlässigen und demütigen

Und, wie meine Mutter nicht müde wird zu betonen, wenn man Alkohol und Antidepressiva geschickt kombiniert, wirken beide besonders gut.

No comments:

Post a Comment