Sunday, January 4, 2009

Verklebte Eileiter usw.

Eigentlich wollte meine Gynäkologin uns gar nicht hierher schicken. Es sei viel zu früh, meinte sie. Ich sollte mich einfach entspannen, mein Leben genießen und mit meinem Mann in den Urlaub fahren, dann würde ich schon schwanger werden. Frühestens nach anderthalb Jahren könnten wir allmählich mal an weitere Schritte denken.

Doch im Internet steht natürlich etwas ganz anderes – und es hilft Frauen wie mir nicht zu wissen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Gynäkologin recht hat und nicht das Internet. Deswegen war ich bereits nach vier Monaten mit Verdacht auf verklebte Eileiter auf Basis einer Selbstdiagnose zu ihr gekommen und hatte nach einer eingehenden Untersuchung verlangt.

Eine Freundin von mir hat verklebte Eileiter und nur eine künstliche Befruchtung in Holland konnte ihr zu Kindern verhelfen. Ich sage Kinder, weil sie Zwillinge bekam. Dabei war sie extra nach Holland gefahren, weil die dort nach der Befruchtung die Entwicklung der Eizelle länger beobachten dürfen als in Deutschland und damit ihre Trefferquote erhöhen. Deswegen pflanzen sie anders als hier nicht mehrere Eizellen ein, um die Erfolgschancen zu erhöhen und es kommt seltener zu Mehrlingsgeburten. So jedenfalls plante meine Freundin.

Aber dann kamen die Holländer in der Fruchtbarkeitsklinik durcheinander und pflanzten ihr doch mehrere werdende Kinder ein. Dieser Schwindel flog allerdings erst nach einer gründlichen Eizellen-Inventur auf, bei der ein Ei zu viel fehlte. Meine Freundin hat zwar verklebte Eileiter ist aber ansonsten eine sehr zupackende, sportliche und leistungsstarke Frau und hatte es sich daher nicht nehmen lassen, auf die Stimulierung des Eisprungs gleich mit der Produktion einer ganzen Fußballmannschaft zu reagieren. Abwehr und Mittelfeld lagern immer noch in einem Kühlfach irgendwo in Holland. Die Sturmspitze jedoch schießt jetzt durch ihr Haus, schreit, zerschlägt Geschirr und wirft mit Kieselsteinen auf die Balkontür.

Bis der Fehler der Klinik aufgedeckt wurde, war die Zwillingsschwangerschaft allerdings kein Vergnügen, denn die Holländer behaupteten, um ihre Schuld zu vertuschen, die einzige Erklärung für die Mehrlinge sei ein Genfehler bei ihr und beide Kinder oder Kinderhälften würden vermutlich mit schweren Schäden zur Welt kommen.

Die verklebten Eileiter hat sie womöglich, weil sie in den neunziger Jahren aus Abneigung gegen die Pille eine Zeitlang mit Spirale verhütet hatte, nach einem langen Beratungsgespräch mit mir, denn ich musste aus irgendwelchen medizinischen Gründen mit Spirale verhüten. Schon damals, als sie mir von den verklebten Eileitern erzählte, heulte ich eine ganze Nacht, obwohl ich keinen Mann und damit auch keine konkreten Familiengründungspläne hatte und eigentlich ja auch noch nicht so recht erwiesen war, dass ich auch verklebte Eileiter hatte. Doch bereits als ich meine Zwanziger damit verbrachte hatte, mich panisch davor zu fürchten, ich könnte ungewollt schwanger werden und damit meine Ausbildung und überhaupt meine gesamte Zukunft ruinieren, war ich mir sicher, dass ich bestimmt keine Kinder bekommen könnte, wenn ich sie dann endlich wollte.

Diese Gewissheit hatte die französische Gynäkologin nur verstärkt, die mir Jahre später vorrechnete, wie alt ich sei und in welchem Tempo die Fertilität sich jenseits der 30 verschlechtere. Ich war damals Single, sehr zufrieden mit meinem Pariser Leben und hatte sie eigentlich nur zum Zwecke einer Routineuntersuchung konsultiert. Anstatt sich auf Abstriche und bakterielle Untersuchungen zu konzentrieren, hielt sie es jedoch offenbar für ihre Pflicht, mich auf die Vergänglichkeit meiner Chancen auf eine Mutterschaft aufmerksam zu machen. Als ich schwach einwendete, ich hätte keinen Vater in petto, verabschiedete sie mich mit den gestrengen Worten: „Vous devriez vous chercher un homme et faire des bébés“.

Offenbar kommt es doch nicht von ungefähr, dass die durchschnittliche Französin 2,2 Babys zur Welt bringt, während Deutschland mit 1,3 Kindern pro Frau auskommen muss. Vielmehr scheint es sich um eine breit angelegte Initiative zu handeln, an der sich Vertreter des Gesundheitswesens und wahrscheinlich auch Lehrer, Pfarrer und Arbeitgeber beteiligen, um die Frauen an ihre Pflichten zur Mehrung des französischen Volkes zu erinnern. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass bereits de Gaulle die üppige Ausstattung der französischen Frau mit Kinderkrippen einführte, derer sie sich auch heute noch erfreut. Das sollte allerdings keinesfalls ihrer Emanzipation dienen, sondern war Bestandteil einer ausgeklügelten Bevölkerungspolitik mit dem Ziel, die Deutschen zahlenmäßig zu überholen. Wozu das dienen sollte, bleibt de Gaulles Geheimnis. Vielleicht wollte er die Stimmengleichheit im Europäischen Rat nachträglich legitimieren. Allerdings wurde der Vertrag von Nizza erst deutlich später ausgehandelt. Aber wer weiß, vielleicht hat er das ja schon kommen sehen...

Jedenfalls konnte oder wollte Deutschland keine vergleichbar aktive Bevölkerungspolitik machen wegen schlechter Erinnerungen an Mutterkreuze und dergleichen. Das Ergebnis ist, dass wir tatsächlich in wenigen Jahrzehnten den Franzosen zahlenmäßig unterlegen sein werden, da hilft uns die ganze Wiedervereinigung auch nicht weiter.

Ein später Nebeneffekt der traditionsreichen französischen Bevölkerungspolitik– vermutlich nicht intendiert, soviel sollte ich de Gaulle zugute halten – bestand darin, dass nach der Konsultation bei der diensteifrigen Gynäkologin, die ihr Volk und offenbar auch anderer Leute Völker nicht dem Untergang preisgeben wollte, heulend auf der Esplanade de La Défense saß, mir die vorbeigehenden Geschäftsmänner ansah und mir überlegte, was ich tun sollte. Mich ihnen zu Füßen werfen und sie bitten, mir ein Kind zu machen? Aber französische Männer sind mir meistens zu klein. Zudem haben die Ehrgeizigeren unter ihnen, und dazu gehören die meisten, die wochentags durch La Défense laufen, einen Hang dazu, ihre Fingernägel abzukauen, vermutlich weil die Zugangsprüfung zu ihrer Eliteuniversität so stressig war und sie sich seither nicht mehr so recht erholen konnten. Wie dem auch sei, ich kann abgekaute Fingernägel nicht ausstehen. Und ja, ich bin mir bewußt, dass die französischen Gynäkologinnen gerade deswegen ihre guten Ratschläge so eindringlich vortragen, weil die modernen Frauen so wählerisch sind, und solange nach entspannten hochgewachsenen Männern Ausschau halten, bis es zu spät für Kinder ist.

Jedenfalls war nach den Erfahrungen meiner Freundin in Holland und meinen eigenen in Frankreich ja klar, was mit mir los war, als ich nach mehreren Monaten ohne Spirale, ohne Pille und ohne Gummi immer noch vergeblich auf eine Schwangerschaft wartete. Meine Eileiter mussten dringend auf ihre Durchlässigkeit überprüft werden. Meine Gynäkologin hingegen– nicht die vom Wunsch auf Vergrößerung des französischen Volkes beseelte Französin, sondern inzwischen eine Deutsche, die das Liebesleben ihrer Patientinnen mit etwas größerer Diskretion behandelte - war ganz anderer Meinung und weigerte sich rund heraus Löcher in Bäuche von Frauen zu bohren, bei denen keinerlei Anzeichen für verklebte Eileiter zu erkennen sind. Sie wiederholte statt dessen ihren Rat mit dem Urlaub und der Entspannung.

Ich weiß ja, dass sie recht hat. Aber unser Urlaub im Ural war zwar sehr schön und lehrreich zugleich, aber er lag ungünstig im Zyklus. Wer kann auch schon sein gesamtes Leben danach ausrichten? Und mich zu einem entspannten Leben zu zwingen, das wollte mir auch nicht recht gelingen. Gebeutelt von so viel Mißerfolgen, besuchte ich meine Gynäkologin in den folgenden Monaten noch mehrere Male. Einmal mit einem glibbrigen Ausfluss, den ich für das sicherste Anzeichen für das unmittelbar bevorstehende Ende meiner Fertilität hielt. Wie sich herausstellte, hatte ich ein Tampon im Körper vergessen. Unglaublich, was man damit alles machen kann, ohne es zu merken!

Beim nächsten Mal kam ich in Begleitung meines rat- und hilflosen Freund, der sich zu gemeinsamem Handeln bereit erklärt hatte, nachdem ein trotz emsigen Mönchspfefferkonsums mit 21 Tagen für Befruchtungen zu kurzer Zyklus zu Hause eine größere Krise ausgelöst hat. Die Gynäkologin zeigte diesmal ehrliches Mitleid, als ich erneut am Rande des Nervenzusammenbruchs vor ihr saß. Sie versicherte mir zwar, dass verkürzte Zyklen mit Stress zusammen hängen können - auch dem den man sich selbst macht, um schwanger zu werden - und kein Anzeichen für schwere Störungen sein müssen, die sich nicht von selbst regeln könnten. Aber ich wollte endlich handeln.

Frauen wie ich, die ihr ganzes erwachsenes Leben – und nicht unbedeutende Teile der Kindheit – damit verbracht haben, sich ein Ziel nach dem anderen zu stecken und dann ehrgeizig und konzentriert darauf los zu stürmen, können nur schlecht damit umgehen, wenn sie endlich mühevoll alles zusammen gesammelt haben, was man ihrer Meinung nach für eine glückliche Familie braucht – akademische Würden, einen ordentlichen Job und einen lieben, zärtlichen Mann – jetzt das Kind her soll ... und dann kommt es nicht.

Deswegen fand ich mich nur wenige Monate und Besuche bei meiner Gynäkologin später in der Sterilitätsklinik bei der Ärztin wieder, die uns nach unseren Unternehmungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft befragte.

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